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Tech Recruiting: Menschliche Intelligenz sucht Experten für Künstliche Intelligenz

Gerhard Kenk

Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide.  

Die Digitale Transformation droht mit Jobverlust, wenn Roboter menschliche Tätigkeiten übernehmen – so zumindest die Binsenweisheit einschlägiger Medien. Gleichzeitig stellt die Nachfrage nach Experten für Künstliche Intelligenz die Tech Recruiter vor neue Herausforderungen: Wenn menschliche Recruiting-Intelligenz nach AI-Experten sucht, muss mancher Recruiter und Active Sourcer die Realitäten am Arbeitsmarkt neu lernen.

Eine Stichprobe bei der Suche nach AI-Jobs (Artificial Intelligence) zeigt auf, wo die geographischen Schwerpunkte der Job Nachfrage liegen.

Paris, die Stadt der Liebe und der Revolution gilt Medienberichten zufolge als neue In-Location, wenn es um AI-Jobs geht. Das zumindest suggeriert eine Meldung bei Seeking Alpha, der zufolge sowohl Facebook als auch Google Pläne schmieden, um am Standort der Frankreich-Metropole neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Facebook erwartet das derzeitige AI-Team zu verdoppeln und 100 neue AI-Experten bis zum Jahr 2022 einzustellen. Google wiederum plant ein AI-Lab, CEO Sundar Pichai nannte als grobe Zielvorstellung die Erhöhung der Beschäftigten von 700 auf 1.000 Mitarbeitern. Gleichzeitig gibt es bei Facebook einen Management-Shuffle. Der Gründer der Facebook-AI-Research-Lab Yann LeCun wird durch Jérôme Pesenti ersetzt. Pesenti war früher Chief Technology Officer bei IBM Big Data group.

Fakten-Check: Wo liegen die Jobhochburgen der Künstlichen Intelligenz?

Eine Stichprobe bei der Suche nach Stellenanzeigen für AI Jobs bei Kimeta.de, Stepstone.de und Indeed.de ergibt – wer hätte das auch anders gedacht – eine für Deutschland typische regionale Verteilung. Eine Konzentration auf eine bestimmte Start-Up-Lokationen ist nicht zu erkennen.

 

AI-Jobs  Deutschland Indeed.de Kimeta.de Stepstone.de
Berlin 211 126 21
Hamburg 31 55 27
Düsseldorf 24 72 30
Köln 25 100 32
Frankfurt/M 79 118 35
Stuttgart 26 58 25
Nürnberg 14 30 6
München 127 123 31
Summe 537 682 207

Insgesamt finden sich bei der Jobsuchmaschine Kimeta.de 682 AI-Jobs, die Jobsite Indeed.de listet 537 AI-Jobs und die Jobbörse Stepstone.de veröffentlichte zum Zeitpunkt der Stichprobe (25. Januar 2018) insgesamt 207 Stellenanzeigen für AI-Experten. Bei der geographischen Verteilung der AI-Stellenangebote lassen sich keine eindeutige Konzentration auf einzelne Standorte ableiten.

Diese Stichprobe macht auch die Unterschiede zwischen einer Jobsuchmaschine und einer Jobbörse recht deutlich. Während Kimeta.de und Indeed.de Crawler-Technologien einsetzen, um das Web nach geeigneten Stellenanzeigen zu durchforsten, werden die so gefundenen Stellenanzeigen überwiegend kostenlos publiziert und durch ein Pay-per-Click Verfahren monetarisiert. Stepstone hingegen verfolgt den klassischen Jobbörsen-Ansatz und verlangt für eine Stellenanzeige mit 30 Tagen Laufzeit eine Gebühr zwischen 920 Euro (Starter-Paket) bis 1.695 Euro (Premium Modell). So erzielt Stepstone in diesem spezialisierten Fachkräftemarkt pro Monat mindestens knapp 200.000 Euro (207 Stellenanzeigen x 920 Euro) Brutto-Umsatzerlöse.

Im internationalen Vergleich nach ausgesuchten Städten zeigt die Analyse der Stellenangebote auf Indeed.com, dass Kandidaten für die Besetzung von AI Jobs weltweit intensiv nachgefragt werden. Spitzenreiter der AI-Jobhochburgen ist Mountain View, Californien, USA, dort werden überdurchschnittliche viele AI Experten gesucht. Kenner der Internet-Ökonomie dürfte das schwerlich überraschen, denn der Suchmaschinen-Gigant Google ist dort ansässig.

 

Mind the Gap

Reisende in Londons Metro kennen diese Ansage bis zum Überdruss. Doch dahinter steckt auch die Aufforderung, sich etwaige Differenzen zwischen zwei Sachverhalten etwas näher anzuschauen. So verhält es sich auch bei der Suche nach Jobtitel in den Jobbörsen des Landes. Bei der durchgeführten Stichprobe zeigte die freie Textsuche unterschiedliche Ergebnisse an, denn AI (Artificial Intelligence) ist bei der semantischen Suche leider nicht immer mit KI (Künstliche Intelligenz) gleichzusetzen.

So kann es gelegentlich vorkommen, dass Deutschlands #1 Jobbörse Stepstone bei der Freitextsuche nach AI auch einen Buchhalter-Job als Treffer auflistet. Des Rätsels Lösung entpuppt sich erst bei genauerem Hinsehen. Die Jobbeschreibung ist nichts außergewöhnliches, doch Bewerbern wird empfohlen, sich unter Bezug auf eine  Chiffre zu bewerben: „Wir freuen uns auf Ihre Bewerbungsunterlagen mit Angabe der Referenznummer AI_OIS_118, eines möglichen Eintrittstermins und Ihrer Gehaltsvorstellung.“ Pech ist nur, dass die Referenznummer mit AI anfängt und die semantische Textanalyse diesen Inhalt nicht von einem Jobtitel unterscheidet. Aber zur Not gibts ja auch noch die menschliche Intelligenz, die diese feinen Unterschiede schnell bemerkt.

Doch wie genau funktioniert diese semantische Textanalyse bei Stellenanzeigen? Das im Tessin in der Schweiz beheimatete IT-Unternehmen Arca24 spezialisiert sich auf Softwarelösungen für HR, Talent Management Systemen, Jobbörsen-Software und mehr. So beschreiben die Entwickler, wie semantische Suchmaschine funktioniert.

Jacopo Negro Cusa ist Chief Technology Officer bei arca24

Semantic Engine Matching

SEM, Akronym von Semantic Matching Engine, ist die von Arca24 entwickelte semantische Suchmaschine. Sie verfügt über Tausenden Stellenbeschreibungen und ist imstande, Unterlagen wie Lebensläufe und Stelleninserate zu lesen und klassifizieren, deren Bedeutung zu verstehen und die Suchergebnisse automatisch zu ordnen.

Alles beginnt mit der Aufschaltung der Stellenanzeige.

Beim Analysieren eines Stelleninserats erkennt die semantische Suchmaschine die für die Stelle erforderlichen Kompetenzen und macht ein Matching mit beruflichen TAGS, die das System in den Texten der Lebensläufe suchen wird.

Es handelt nicht um eine einfache Full-Text Research, unsere Suchmaschine zieht die Komplexität der Wörter in Betracht und ist imstande, die die ausgeübten Berufe betreffenden TAGS auf der Basis der erkannten Kompetenzen zu bestimmen.

Wir haben mehr als 1’300 Jobs klassifiziert und beschrieben, welchen wir von 5 bis 10 eindeutige Skills und Anforderungen für jeden Beruf zugewiesen haben. Unsere semantische Maschine ist imstande, Substantive, Verben, Begriffe und die für die Stelle erforderlichen Kompetenzen zu erkennen.

Wenn Sie z.B. «Führung des Hauptbuches» im Stelleninserat schreiben, wird das System den Satz analysieren und verstehen und ihm das TAG (d.h. den Beruf) «Buchhalter» zuweisen. Die semantische Maschine wird erkennen, dass Sie einen Buchhalter suchen, da sie keine Keyword-Suche, sondern eine logische Analyse des Satzes macht.

Hier ist in weiteres Beispiel: Beim Lesen «Innenwände bekleiden» wird das System das Tag «Maler» zuweisen.

Oder dem Begriff «Entwurf von Konzepten zur Anwendung für Wasserversorgungen» wird der Beruf des Umweltingenieurs zugewiesen. Deshalb wird die Software ähnliche Anforderungen in den Texten der Lebensläufe suchen.

Das ist keine Full-Text Research, kein CV-Parsing: SEM standardisiert die Texte und macht eine logische Analyse.

Wir haben unsere semantische Maschine auf 6 Sprachen verfügbar gestellt und die mehr als 1’300 Jobs auf Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Polnisch.

SEM arbeitet unabhängig von der Sprache, auf der Lebensläufe geschrieben werden, oder von den ausgedrückten Begriffen zuverlässig. SEM macht ein Matching zwischen den Kompetenzen der Stellensuchenden und den Jobtiteln, indem sie eine Shortlist von Kandidaten anbietet, welche nach Kompatibilität und Entfernung aufgelistet werden.

 

Ergebnisse der Suche nach KI und AI

Einsatzbeispiele der KI im Recruiting

Endlich kommen wir zu einem Thema, das für Journalisten und Medien ein gefundenes Fressen ist. Es bringt Aufmerksamkeit, Zugriffszahlen und ist sexy, weil es auf der Hype-Welle der Digitalen Transformation surft.

So hat Lisa Kreuzman einen beeindruckenden Artikel bei der ZEIT veröffentlicht: „Vorstellungsgespräch bei einem Bot„.

Dort stellt u.a. Tim Weitzel seine Sicht der Dinge dar:

Tim Weitzel

Wissenschaftler und Personaler versprechen sich viel von den sogenannten Job-Bots, Recruiting-Bots oder Career-Bots. Der Bot soll besser können, was dem Menschen nicht immer gelingt: den perfekten Bewerber für eine Stelle zu finden. Und das ohne Vorurteile und Antipathien – Algorithmus schlägt Menschenkenntnis.

„Bots treffen ihre Einstellungsentscheidung anhand neutraler Daten. Dadurch wählen sie viel diskriminierungsfreier aus als ein Mensch“, sagt Wirtschaftsinformatiker Tim Weitzel von der Uni Bamberg, wissenschaftlicher Leiter der jährlichen Recruiting-Studie des Jobportals Monster. „Ein Bot kann etwa aus Bewerbungen A-B-C-Stapel vorsortieren oder Kandidaten offene Stellen aufgrund ihrer Kandidaten- und Stellenprofile vorschlagen.“

Noch sind die Bots nicht so weit, sagt Weitzel. Aber theoretisch weiß das Internet über mich schon ein Menge: welche Musik ich mag, was ich einkaufe, welches Handy ich benutze, wann ich schlafen gehe. Weitere Infos lasse ich freiwillig in meinen Profilen auf Facebook, Xing und Instagram. All das ist Teil meiner digitalen DNA, meine Persönlichkeit in Zahlen, die viel darüber aussagt, welcher Typ ich bin und entsprechend auch, welcher Job und welches Team zu mir passen könnten.

Auf dieser Grundlage sollen Job-Bots zukünftig entscheiden können, welcher Bewerber den Zuschlag erhält – und welcher nicht. Zwar stehen die Job-Bots in Deutschland noch am Anfang, die Nachfrage sei aber massiv. „Es gibt kaum ein Großunternehmen, das sich nicht ernsthaft mit Bots beschäftigt“, sagt Weitzel.

Lisa Kreuzmann

Die Science-Fiction hat vor 2000 Jahren begonnen

Lisa Kreuzmann stellt in ihrem Artikel auch Zukunftsperspektiven heraus: „Vor ein paar Jahren war die Beziehung zwischen Mensch und Maschine noch Science-Fiction. Im Film Her verliebte sich Theodore, gespielt von Joaquin Phoenix, in sein Computersystem Samantha. Der Film bekam viel Aufmerksamkeit und einen Oscar.“ Drehbuchautor, Regisseur und Produzent war Spike Jonze.

 

Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine bzw. einer künstlichen Statue hatte schon der römische Dichter Ovid vor über 2000 Jahren in seinen „Metamorphosen“ beschrieben. Dort geht es um den Bildhauer Pygmalion: „Der Künstler Pygmalion von Zypern ist aufgrund schlechter Erfahrungen mit Propoetiden (sexuell zügellosen Frauen) zum Frauenfeind geworden und lebt nur noch für seine Bildhauerei. Ohne bewusst an Frauen zu denken, erschafft er eine Elfenbeinstatue, die wie eine lebendige Frau aussieht. Er behandelt das Abbild immer mehr wie einen echten Menschen und verliebt sich schließlich in seine Kunstfigur.“

In der Übersetzung von Johannes Heinrich Voß aus dem Jahr 1798 liest sich die Metamorphose der Elfenbeinstatue so:

Er stand nach vollendetem Opfer an dem Altar, angstvoll:
Wenn ihr Himmlischen alles vermöget, werde mein Weib!
Heim eilt jener zum Bilde zurück des trautesten Mägdleins,
neigt sich über das Lager und küsst;
und sie scheint zu erwarmen.

Wieder naht er dem Mund und wagt auch die Brust zu versuchen;
weich wird’s unter der Hand;
des Elfenbeines Erstarrung senkt sich dem Druck der Finger und weicht;
wie das Wachs des Hymettus schmeidiger wird
an der Sonn‘ und dem zwingenden Daum in Gestalten,
immer verändert, sich biegt und brauchbarer durch den Gebrauch wird.

Während der Liebende staunt und bange sich freut und Täuschung wieder besorgt
und wieder den Wunsch mit den Händen berühret,
war sie Leib und es schlagen, versucht vom Daume, die Adern.

Endlich vereint er zum nicht täuschenden Munde den Mund:
Die gegebenen Küsse fühlt die Erötende,
hebt zu dem Lichte die leuchtenden Augen schüchtern empor
und schaut mit dem Himmel zugleich den Geliebten.

 

Pygmalion by Jean-Baptiste Regnault, 1786, Musée National du Château et des Trianons (Quelle: Wikipedia)

 

Die Abstraktion der künstlichen Intelligenz und die Visualisierung der Realität

Medien und Marketeers tun sich schwer, die komplexen Zusammenhänge und die Abstraktion der künstlichen Intelligenz zu visualiseren. Heraus kommen meistens Screenshots mit Java-Scripts oder Abbildungen von Robots, die dem menschlichen Erscheinungsbild nachempfunden wurden – aber immer noch einen Touch Science-Fiction vermitteln. Viel weiter ist hier Matt McCullen, CEO von Abyss Creations mit seiner Kunstfigur Harmony gegangen. McCullen stattete den Robot Prototyp Harmony mit künstlicher Intelligenz aus.

Matt McCullen mit Harmony

 

Die menschliche männliche Phantasie nimmt einen wichtigen Platz in der Emotionalität der Menschen ein – und sie erhebt sich durch die künstlichen „Dolls“ – oder auch „Boys“ – in Verbindung mit künstlicher Intelligenz auf eine höhere Stufe.

 

Und so schliesst sich der Kreis von Ovids Pygmalion über Hugh Hefners Playboy, über Spike Jonzes Samantha bis zu Matt McCullens Harmony. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Die Visualisierung der künstlichen Intelligenz ist spannender als ellenlange binäre Zahlenkolonnen oder JAVA Coding Befehle.

 

 

 

Weiterführende Links

Lisa Kreuzmann:  „Vorstellungsgespräch bei einem Bot

Indeed.com

Kimeta.de

Stepstone.de

arca24

Deutsche Telekom hub:raum

Telekom HubBot (Facebook Messenger)

Regisseur Spike Jonze: „Her“

Engagdet RealDoll / Abyss Creation

 

 

 

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