Neue digitale Werbetechnologien für das Recruiting
von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide.
Publikation von Stellenanzeigen: Wo trifft Stellenangebot auf Wunschkandidaten?
Mit Hingabe und Leidenschaft diskutieren Recruiting-Experten die Schaltung und Gestaltung von Stellenanzeigen. Search Engine Marketing, Heat Maps, Optimierung der Bullet Points, CI-konforme grafische Gestaltung – das sind alles Kürzel für Themen, die im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion stehen. Gleichzeitig treibt die digitale Werbebranche eine Evolution der Publikation von Anzeigen voran, dabei stehen R&R-Web-Technologien, nämlich Re-Targeting und Real-Time-Bidding, einer nutzungsbasierten Online-Werbung, im Fokus.
In der Recruiting-Szene haben sich eine kleine Handvoll von Early-Adaptors, beispielsweise Monster, Stepstone, Stellenanzeigen.de oder Yourfirm.de auf den Weg gemacht, die ersten experimentellen Schritte mit den neuen R&R-Web-Technologien zu wagen – in anderen Branchen gehört dies fast schon zum Standard-Repertoire der Online-Werbung.
Evolution: Von der Street View zur Screen View
Die Publikation von Stellenanzeigen begann eigentlich mit der genialen Erfindung von Ernst Litfaß, der erstmals am 15. April 1855 die Litfaßsäule in Berlin aufstellte, um an zentralen und stark frequentierten Plätzen die Veröffentlichung von Plakaten, Veranstaltungsankündigungen oder auch Stellenanzeigen zu ermöglichen. Auch über 150 Jahre nach dieser Premiere ist die Litfaßsäule als Werbeträger aus vielen Städten nicht mehr wegzudenken.
In der Pre-Internet-Zeit waren Tageszeitungen und Fachmagazine das wichtigste Medium für die Publikation von Stellenanzeigen. Anhand der Abonnenten- oder Käuferzielgruppe und der geographischen Verteilung der Zeitungsauflage war es möglich, Stellenanzeigen zielgruppengerecht zu publizieren. Arbeitgeber konnten nach der einfachen Faustregel ihre Anzeigen schalten: Ein Stellenangebot für alltägliche Jobs wurde in den lokalen bzw. regionalen Zeitungen veröffentlicht, qualifizierte Spezialisten wurden überregional gesucht, diese Stellenanzeigen publizierten Personalchefs dann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung oder der WELT.
Bereits in den Kinderschuhen des Internets spielte die Publikation von Stellenanzeigen eine wichtige kommerzielle Rolle und ab 1995 wurden schon die ersten Jobbörsen (Monster, Arbeitsagentur, Stellenanzeigen.de, Stepstone, Jobware oder Jobpilot) gegründet. Das Konzept erinnerte stark an eine Bibliothek: Dort sind Bücher fein säuberlich nach Sachgebieten klassifiziert und in Bücherregalen aufbewahrt, interessierte Leser orientieren sich über die Anordnung der Sachgebiete und sind dann auf die Suche gegangen. Noch heute erinnern die diversen Jobbörsen an diese Anordnung: für die Belletristik sind die Generalisten-Jobbörsen nach Autoren sortiert, die Spezial-Jobbörsen ähneln eher den Sachbüchern, die nach einzelnen Spezialgebieten klassifiziert sind. Wer nur nach bestimmten Autoren sucht, der nimmt sich den Index zu Hilfe und findet so das gewünschte Buch – oder die gewünschten Stellenanzeigen.
Publikationsmodell Pusteblume
Bei der Publikation von Stellenanzeigen setzen Recruiter verstärkt auf das Modell „Pusteblume“: Getrieben vom heißen Wind des Fachkräftemangels werden attraktive Stellen auf allen Kanälen publiziert – Jobanzeigen sind nahezu überall zu finden. Das beginnt schon mit der Veröffentlichung eines Stellenangebots auf der Karriereseite des Arbeitgebers, gefolgt von der Schaltung der Anzeige in Jobbörsen, automatisch indiziert durch Jobsuchmaschinen oder mit Hilfe von RSS-Feeds in die weite Welt hinausgeblasen. Die Idee bei diesem Turbo-Publikationsmodell ist die nahezu bedenkenlose Weiterverbreitung von Jobannoncen. Die Stellenanzeige wird einfach auf vielen Portalen gezeigt in der Hoffnung, daß diese verstärkte Reichweite irgendwo auf den richtigen Kandidaten trifft.
Süddeutsche Zeitung: Publikations-Matching-Innovator
Bereits vor einigen Jahren realisierte die Süddeutsche Zeitung mit einer Matching-Innovation eine Verbesserung des Pusteblumen-Publikationsmodells. Grundlage der Einblendung von Stellenanzeigen aus dem Fundus des SZ-Stellenmarktes waren Kontext-basierte Matching-Begriffe, die als Trigger für die Anzeige von Teaser-Stellenanzeigen diente. So beschrieb die Crosswater-Redaktion am 13. Dezember 2010 dieses Modell:
„In der täglichen Redaktionspraxis kann der Leser der Süddeutschen Zeitung erkennen, wie beispielsweise in dem Bericht des Wirtschaftsressorts “L’Oréal Familienzoff: Ende gut, alles gut” nach dem dynamischen Matchingverfahren Stellenanzeigen am Ende des Artikels eingeblendet werden.“
Auf Spurensuche: Re-Targeting
Organismen hinterlassen Spuren ihrer Existenz und ihrer Bewegungen. So haben Astronomen anhand schwankender Lichtsignale den Exoplaneten HD 40307 entdeckt, mit Hilfe von Kalkablagerungen konnten Archäologen den Untergang der Maya-Kultur auf eine anhaltende Dürre-Periode zurückführen. Im Chaco-Canyon in den südwestlichen USA haben Dendrochronologisten mittels einer Analyse von Baumringen herausgefunden, welche Klima-Veränderungen im Zeitverlauf dort eingetreten sind und letztlich zum Untergang der nordamerikanischen Kultur der Anasazi-Indianer beigetragen haben.
Auch im Internet-Zeitalter gelten diese Grundregeln: wer sich bewegt, wer surft, hinterlässt Spuren. Und so ist es kein Wunder, wenn „Digital Natives“, die im Internet surfen, entsprechende digitale Spuren hinterlassen. Doch im Unterschied zu den Spuren aus grauer Vorzeit sind die digitalen Spuren in Bruchteilen von Sekunden auffindbar, sie werden aufgezeichnet und für kommerzielle Zwecke der digitalen Werbewirtschaft verwendet. Und nicht nur die Werbewirtschaft baut auf die Spurensuche und die damit verbundene Meta-Analyse der Kommunikationsbeziehungen – wie wir seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Re-Targeting Cookies
Wer surft – hinterlässt Spuren. Sucht der Surfer nach den besten Hotels in Kuala Lumpur, nach empfehlenswerten Restaurants in Barcelona, nach Schnäppchen bei Zalando oder nach den neuesten Modetrends auf Stylebook – werden Cookies generiert und für vielfältige Ziele aufgezeichnet und wie bei Bewegungsprofilen zu einem „Interessen-Profil“ zusammengefasst.
Was nicht alle Internet-Nutzer ahnen ist die Tatsache, dass ihre Surfaktivitäten von den Servern der Webseiten-Betreiber als „Tracking-Cookie“ auf ihrem PC aufgezeichnet und gleichzeitig an Datensammelstellen der digitalen Werbewirtschaft weitergeleitet werden. Dieses Verfahren ist eigentlich nicht neu, denn es wurde schon bereits 1994 in dem von Marc Andreessen entwickelten legendären Netscape-Browsers eingesetzt.
Die Unternehmen der digitalen Werbewirtschaft nutzen die Informationen, die sie durch die Weiterleitung der Tracking-Cookie-Daten sammeln, für vielfältige Zwecke. Bei diesen Daten handelt es sich nicht um personenbezogene Daten, sondern es werden Browser-spezifische Daten wie Standort, Browser-Software-Details, Datum, Uhrzeit sowie die Zieladresse der besuchten Webseite abgespeichert, zusammen mit etwaigen Suchbegriffen, die genutzt wurden.
Die automatisch generierten Tracking-Cookies werden im Hintergrund weitergleitet. Empfänger der Tracking-Cookies sind beispielsweise
- Webserver für Traffic Analysen wie z.B. Google Analytics, IVW
- Soziale Netzwerke wie Google+, Facebook, Twitter, Youtube
- Suchmaschinen wie Google
- Affiliate-Programme
- e-Commerce Webseiten
- AdServer der digitalen Werbewirtschaft
Die zentrale Herausforderung der Werbebranche ist neben allen kreativen Aspekten die Reduktion der Streuverluste – und damit die Steigerung der Werbewirksamkeit. In den jüngsten Jahren haben sich deshalb digitale Werbeagenturen mit neuen Internet-basierten Technologien beschäftigt und innovative Mechanismen für die Ermittlung spezifischer Interessengruppen und maßgeschneiderter Auslieferung der Bannerwerbeträger beschäftigt. Diese neuen Technologien basieren auf zwei grundlegenden Konzepten: Erstens das Re-Targeting und zweitens das Real-Time-Bidding.
Das tägliche Brot: Tracking, Profiling, Targeting
Für die digitale Werbewirtschaft sind Tracking-Cookies das tägliche Brot, welches das Geschäft mit Display-Werbung füttert. Während ein einzelnes Tracking-Cookie nur rudimentäre Informationen über den Surfer enthält – die zudem eher kryptisch dargestellt werden – können mehrere Tracking-Cookies logisch gebündelt und zu einem Bewegungsprofil des Surfers zusammengesetzt werden. Solche Profile spiegeln die Interessengebiete des Surfers wider und werden von der digitalen Werbewirtschaft dazu verwendet, nahezu passgenaue Display-Werbung auf den vom Surfer angesteuerten Webseiten einzublenden. Dies führt einerseits zu einer höheren Aufmerksamkeit, weil Webseiten-Content und Advertising-Content in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen. Andererseits wird durch eine passgenaue Einblendung der Streuverlust reduziert.
Bitte nicht drängeln: Wie Real-Time-Bidding die Werbeeinblendungen steuert
Während sich beim Surfen die Webseite mehr oder weniger schnell aufbaut und die Inhalte textlich und graphisch dargestellt werden, wird im Hintergrund ein wahres Feuerwerk der Algorithmen abgebrannt. Die über den Surfer verfügbaren Tracking- und Profiling-Informationen werden mit den Anforderungen der für Werbekampagnen einzublendenden Werbebanner abgeglichen. Dabei findet in Bruchteilen von Sekunden eine Auktion statt und für den Gewinner der Auktion wird dessen Werbung eingeblendet.
Wie sieht nun in der Praxis die genaue Aufzeichnung der digitalen Bewerberspuren konkret aus? Mit Hilfe des Programms Collusion (dies ist als Firefox-Plugin kostenlos verfügbar) kann die Weitergbe von Re-Targeting-Cookies aufgezeichnet und grafisch angezeigt werden. (Anmerkung: Der Software-Hersteller des Programms „Collusion“ weist darauf hin, dass die derzeitige Programmversion eine Beta-Version sei und demzufolge keine Garantie für vollständige Korrektheit gegeben werden kann).
Das Universum der Tracking-Cookies
Mit Hilfe des Programms Collusion wurde anhand einer Stichprobe untersucht, welche populären Webportale Tracking-Cookies an in- und ausländische Datensammelstellen weiterleiten. Eine graphische Zusammenfassung zeigt das Ausmaß der universellen Datenweitergabe.
Tracking-Cookies im Klartext
Wer im Internet surft und im Browser keinen besonderen Datenschutzfilter gesetzt, bekommt auf seinem PC verschiedene Tracking-Cookes für das Re-Targeting gespeichert. Diese sehen im Klartext so aus:
- .blankbase.com: __utma: 58527609.2000405241.1352371573.1352371573.1352371573.1: /: 1415443573 (08.11.2014): 0: 0
- .blankbase.com: __utmb: 58527609.0.10.1352371573: /: 1352373373 (08.11.2012): 0: 0
- .blankbase.com: __utmz: 58527609.1352371573.1.1.utmcsr=(direct)|utmccn=(direct)|utmcmd=(none): /: 1368139573 (09.05.2013): 0: 0
- .sambreel.com: __utma: 169094819.1379470969.1352371628.1352371628.1352371628.1: /: 1415443720 (08.11.2014): 0: 0
- .sambreel.com: __utmz: 169094819.1352371628.1.1.utmcsr=blankbase.com|utmccn=(referral)|utmcmd=referral|utmcct=/: /: 1368139720 (09.05.2013): 0: 0
Die direkte Interpretation dieser Datenkrümel bietet wenig Erhellendes. Ersichtlich sind einerseits das Verfallsdatum des Tracking-Codes, z.B. (8.11.2014) oder die Namen der Webseiten, an welche diese Tracking-Cookies weitergeleitet werden (z.B. Blankbase.com oder Sambreel.com sowie die Tracking-Cookies, die für Google Analytics verwendet werden (z.B. __utma).
Zur Datenschutzproblematik
„Beim Real-Time Bidding werden – wie auch im klassischen Vermarktungsbetrieb – keine personenbezogenen Daten erhoben und ausgewertet. ValueClick nutzt lediglich Cookies, denen eine Vielzahl verschiedener Attribute zugeordnet wird.
Die Daten sind anonym und es kann zu keiner Zeit Rückschluss auf eine bestimmte Person erfolgen“ .
Christian Geyer, General Manager bei ValueClick Deutschland
Early Birds
Early Adopter der neuen digitalen Werbetechnologien im deutschen Recruiting sind Jobbörsen wie beispielsweise Monster, Stellenanzeigen.de, Stepstone oder Yourfirm.de, eine Jobbörse, die sich auf Fach- und Führungskräfte des Mittelstands spezialisiert hat.
Yourfirm.de Geschäftsführer Konstantin Janusch fasst die Erfahrungen so zusammen:
Neben unserer klaren Fokussierung auf den Mittelstand steht die Jobbörse Yourfirm.de vor allem für innovative Personalsuche“, erklärt der Geschäftsführer Konstantin Janusch.
„Daher setzen wir von Anfang an auf modernes Online-Marketing mit Hilfe von Real Time Bidding – mit ausgezeichneter Resonanz.“
Intelligente Ergänzung – kein Ersatz
Die Einblendungen von Stellenanzeigen bei reichweitenstarken Medienportale nach R&R Technologie haben lediglich Teaser-Charakter. Die komplette Stellenanzeige findet der Stellensuchende dann immer noch in den jeweiligen Jobportalen.
Jedoch bilden diese Werbe-Technologien eine intelligente Ergänzung im Medienmix, weil sie sich stärker als alle anderen Alternativen an der Zielgruppe der Kandidaten bzw. einem auf Re-Trageting-Konzepten basierenden Interessen-Pool orientieren. Deshalb haben die Teaser-Inserate viel Potential, den Streuverlust zu reduzieren und so zu einer effizienten Präsentation von Jobanzeigen bei den Wunschkandidaten beizutragen.
Weiterführende Links
- Genial wie Google? Süddeutsche Zeitung lanciert kontextsensitive Stellenanzeigen zur qualifizierten Reichweitensteigerung
- Interview mit Christian Geyer in all about adnetworks: Inwieweit spielt das Thema Datenschutz beim Real-Time Bidding eine Rolle?
http://www.adnetworks-blog.de/die-wichtigsten-fragen-zum-thema-real-time-bidding-2/ - LEAD Digital Download White Paper: Real-Time Bidding – Next Level Performance. Eine Übersicht über den Markt, der das Zeug dazu hat, das Performance Marketing zu verändern.
2 Comments
Eine interessante Herangehensweise an die Thematik Zielgruppenorientierung.
Meiner Ansicht nach stößt sie allerdings an gewisse Grenzen, wenn gerade internetaffine Zielgruppen (die sehr gut informiert sind) Tracking Cookies unterbinden, Ad-Blocker nutzen oder ganz gezielt die Ausführung von Scripten auf Websites abschalten.
[…] der Digitalen Werbebranche eigentlich schon einige Schritte weiter sind und mit dem Modell “Real-Time Bidding / Retargeting” viel präzisere Anzeigenschaltungen vorgenommen werden können. Und diese basieren nicht auf […]